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Abhilfeklage: Neue Klageform erleichtert Verbrauchern ihr Recht

Eine neue Klageform verschafft Verbrauchern eine stärkere Position gegenüber bisher übermächtigen Unternehmen. Recht zu bekommen wird (fast) zum Kinderspiel.

© Tingey Injury Law Firm | Unsplash

Bestimmt war es nur Zufall, dass das neue Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) ausgerechnet an einem Freitag, dem 13., in Kraft trat – allerdings kann man sich leicht ausmalen, dass dieser Oktobertag in einigen Chefetagen schon für düstere Ahnungen gesorgt hat. Die Zeiten, in denen Unternehmen sich mit unfairen Praktiken durchmogeln und vereinzelte Gegenwehr als Zwergenaufstand abtun konnten, dürften langsam vorbei sein. 

Kollektive Rechtsdurchsetzung und Entschädigung für Betroffene

Das neue Gesetz, mit dem die EU-Verbandsklagerichtlinie etwas verspätet in nationales Recht umgesetzt wurde, hat es in sich: Erstmals ist es jetzt möglich, Missstände mit einer Vielzahl von Betroffenen direkt mit einer Abhilfeklage zu unterbinden und zugleich noch eine Entschädigung für alle Betroffenen zu erstreiten. So eine Möglichkeit kollektiver Rechtsdurchsetzung gab es bisher nicht: Mittels einer Unterlassungsklage ist es zwar möglich, unfaire AGB-Klauseln gerichtlich für unwirksam erklären zu lassen, allerdings kann sich in einem solchen Prozess auch nur der Kläger selbst eine Entschädigung erstreiten. Alle anderen profitieren vielleicht vom Verbot der Klausel, müssen ihren Schaden aber jeweils für sich selbst einklagen. Das gleiche Problem haftet auch der 2018 eingeführten Musterfeststellungsklage an, die vor allem im Dieselskandal bedeutend wurde: Durch die allgemein wirkende Tatsachenfeststellung, dass bestimmte Motortypen mit manipulierter Software geliefert wurden, blieb den Betroffenen nun zwar die kostenintensive Beweisführung erspart; Aspekte wie Schadensersatz oder eine Rückabwicklung des Kaufs konnten aber weiter stets nur durch individuelle Klagen geklärt werden. 

Die neue Abhilfeklage führt nun einen Schritt weiter, indem sie neben dem Klageziel einer Feststellung auch darauf ausgerichtet ist, für die betroffenen Verbraucher quasi in einem Aufwasch auch Schadensersatzansprüche zu erstreiten. Dies kann entweder auf dem Wege eines gerichtlichen Vergleichs erreicht werden, nötigenfalls aber auch, indem das Gericht die Höhe einer einheitlichen Entschädigungssumme für alle Betroffenen festsetzt. 

Die Feststellung individueller, abweichender Schadensbeträge wie bei einer normalen Schadensersatzklage ist in diesem Rahmen nicht möglich. Das ist auch der Grund dafür, dass die Abhilfeklage nur in Fällen zulässig ist, in denen eine Vielzahl identischer Ansprüche zusammenkommt.

Abhilfeklage durch qualifizierte Verbraucherverbände

Als Initiatoren für die Abhilfeklage kommen daher auch ausschließlich qualifizierte Verbraucherverbände infrage, die beim Bundesamt für Justiz als klagebefugt gelistet sind und die weniger als fünf Prozent ihrer Mittel aus Zuwendungen von Unternehmen beziehen. Damit sollen Interessenkonflikte und Einflussnahme durch Dritte ausgeschlossen werden. Die wichtigsten Akteure unter diesen klagebefugten Verbänden sind die Verbraucherzentralen der Länder, Verbraucherschutzvereine, Mietervereine, Automobilclubs und Umweltorganisationen. Aus dem EU-Ausland kommen gleich gerichtete Organisationen aus allen Mitgliedsstaaten hinzu, da solche Abhilfeverfahren den Verbrauchern z.B. mit Blick auf den Online-Handel künftig auch grenzüberschreitend eröffnet sind. Die Finanzierung der Klagen obliegt dabei stets den klagebefugten Verbänden; für Verbraucher und Kleinunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern und maximal zwei Millionen Euro Umsatz ist die Teilnahme kostenlos. 

Die Bundesregierung ging im Gesetzgebungsverfahren davon aus, dass jährlich etwa 15 Abhilfeklagen gegen Unternehmen zustande kommen werden, bei denen jeweils bis zu 3000 Verbraucher involviert sein könnten. Umgekehrt wird erwartet, dass durch diese Bündelung insgesamt etwa 22500 Individualklagen pro Jahr bei den Zivilgerichten entfallen könnten.

Voraussetzung: Eine Mindestzahl von Betroffenen

Eine Abhilfeklage wird aber nur zugelassen, wenn der klagebefugte Verband nachvollziehbar darlegen kann, dass mindestens 50 Verbraucher vom rechtswidrigen Gebaren des beklagten Unternehmens betroffen sind. Für die Verbraucherschützer ist es daher wichtig, bei einem in der Beratungspraxis auffällig gewordenen Missstand zunächst auch die erforderliche Mindestzahl von Betroffenen namentlich einzusammeln. Ein Beispiel, wie das künftig gehandhabt werden könnte, lieferte die Verbraucherzentrale Sachsen bereits drei Tage nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes: Über ihre Website suchen die Verbraucherschützer gegenwärtig nach Kunden des Modehändlers Zalando, denen für eine lediglich per E-Mail verschickte »zweite Mahnung« ohne Rechtsgrundlage jeweils 5,30 Euro übergeholfen wurden. Das Klageziel liegt auf der Hand: Die rechtswidrige Praxis soll unterbunden werden, und alle Betroffenen sollen ihre 5,30 Euro wiederbekommen. 

Es ist zu erwarten, dass die meisten klagebefugten Organisationen zunächst solche Aufrufe starten und dabei auch die zu erwartenden Fallzahlen ausloten werden. Angesichts der nicht unerheblichen Verfahrenskosten und anfänglich vielleicht auch zu geringer Rücklaufquoten wird es voraussichtlich nicht in jedem Fall kurzfristig zu einer Klage kommen. 

Fristen: Anmeldung noch im Prozessverlauf möglich

Bei der Abhilfeklage gilt das Prinzip »Einer für alle«: Das Verfahren wird am Einzelfall eines Betroffenen aufgehängt, während die Masse derjenigen, die als Opfer der gleichen Masche ebenfalls Ansprüche geltend machen können, derweil in einer Art Zuschauerrolle bleibt. Ist der Prozess schlussendlich gewonnen oder durch einen Vergleich beendet, wird die festgelegte Entschädigungszahlung über einen Sachwalter dann an die angemeldeten Teilnehmer ausbezahlt.

Sicherheit

Die beteiligten Verbraucher haben gegenüber einer Individualklage den Vorteil, dass sie vor dem beklagten Unternehmen anonym bleiben; eine Offenlegung persönlicher Daten ist auch in der Klageschrift nicht erforderlich. Dies mindert die Gefahr, als »renitenter Kunde« z.B. per Vertragskündigung abgestraft zu werden. 

Beitritt

Bis zu drei Wochen nach dem Ende der mündlichen Verhandlung können eigene Ansprüche noch im Verbandsklageregister des Bundesamt für Justiz angemeldet werden; entweder online unter bundesjustizamt.de oder postalisch, indem ein Anmeldeformular beim Bundesamt für Justiz, Klageregister, 53094 Bonn angefordert wird. 

Austritt

Wer im Verlauf des Verfahrens zur Überzeugung kommt, dass es günstiger wäre, die eigenen Ansprüche selbst einzuklagen, kann seine Anmeldung bis zum Ende der oben genannten Drei-Wochen-Frist auch widerrufen. Zu einem späteren Zeitpunkt ist das dann aber nicht mehr möglich. 

Wo Abhilfeklagen am Besten greifen

Das Klageziel muss nicht auf finanziellen Ausgleich gerichtet sein, es können auch Leistungen erstritten werden: Reparaturen, das Recht auf Rückabwicklung des Kaufs oder die Verpflichtung, ein Update bereitzustellen, anstatt eine ganze Geräteserie einfach für obsolet zu erklären. 

Die Abhilfeklage ist damit geeignet, genau an den Stellen zu greifen, an denen Verbraucher bisher frustriert auf verlorenem Posten standen, weil die Wahrung ihrer Rechte zu teuer und zu aufwendig erschien. Dass die Unternehmen darauf jetzt nicht mehr spekulieren können, ist an sich schon ein großer Fortschritt.