Menü
Mit Leidenschaft recherchiert in Berlin

Schneeballsystem: Vorsicht vor der Geldfalle

Bei einem Schneeballsystem oder Pyramidensystem werden großartige Gewinne versprochen. Verbraucher sollten sich vor dieser immer wieder neu erfolgreichen Betrugsmasche hüten.

© Ibrahim Boran

von Midia Nuri

Der Trick bei einem Schneeballsystem oder Pyramidenspiel funktioniert im Prinzip stets gleich: Der Anbieter verspricht großartige Gewinne. Neu angeworbene Opfer zahlen aber erst einmal ein. Ihr Geld fließt zumindest teilweise gleich weiter an zuvor betrogene Opfer. Diese erhalten so wenigstens eine Zeit lang die vermeintlichen Renditen, Umsatzbeteiligungen oder Boni. Das Geld stammt jedoch anders als versprochen nicht aus erzielten Gewinnen oder Umsätzen. Beträge neuer Opfer halten das Betrugssystem tatsächlich am Laufen. Das braucht eine immer größere Zahl Opfer und bricht so früher oder später zusammen.

© Guter Rat
Pyramidensysteme: Die Finanzkraft trocknet schnell aus

Die Betrugsmasche

So läuft es im Prinzip bei allen Variationen von Schneeball- oder Pyramidensystemen, Schenkkreisen oder auch bei dem Ponzi-System des Geldanlagebetrugs, benannt nach dem seinerzeit als Finanzgenie geltenden Betrüger Charles Ponzi.

Hinter dem Begriff des Schneeballsystems steckt die Vorstellung von einem Schneeball, der beim Herabrollen von einem schneebedeckten Hang größer wird. Von Pyramidensystemen ist die Rede bei stark hierarchisch aufgebauten Schneeballsystemen – mit nur einem oder wenigen Tätern an der Spitze und einer großen Zahl Opfer, die untereinander keine Verbindungen pflegen. Auch die Kreise eines Schneeballsystems, mit oftmals sich regelmäßig teilenden (Schenk-)Kreisen, sind hierarchisch aufgebaut, und die Opfer steigen darin auf. Aus regelmäßigen Teilungen gehen quasi nebeneinanderliegende Pyramiden hervor. So simpel solche betrügerischen Systeme grundsätzlich funktionieren, so sorgfältig verheimlichen Täter dies und wissen menschliche Gier anzustacheln. Daher fallen auch nach Jahrzehnten noch Opfer aus praktisch allen gesellschaftlichen Schichten darauf herein.

Große Versprechen

Und sosehr sich Schneeballsysteme im Prinzip gleichen, so verschieden läuft das jeweilige Geschäft. Ein Schneeball- oder Pyramidensystem, das kann die esoterisch angehauchte (WhatsApp-)Gruppe mit Namen wie »Mandala« oder »Fraktalreise« sein – Schenkkreise, die das Mantra von der heiligen Wirtschaft singen und davon, wie wichtig Schenken ist – mit der Aussicht, anschließend selbst umso reicher beschenkt zu werden. Ebenso typisch ist die als Ponzi-System bezeichnete betrügerische Geldanlage mit Immobilien, Gold, Campingplätzen oder auch Kryptowährungen. Ein Schneeballsystem kann die Chance auf ein passives Nebeneinkommen »bequem und flexibel von zu Hause aus« versprechen oder die Möglichkeit der Existenzgründung bei mit großartiger Umsatzbeteiligung und Boni werbenden Online-Handelsplattformen. Auch manche Form von Multi-Level-Marketing oder Direktmarketing ist ein illegales Schneeballsystem.

Im »Handelsblatt«-Podcast »Today« berichtete eine Frau, die sich selbstständig gemacht hatte, wie ein Bekannter sie für die Investition in eine betrügerische Handelsplattform anwarb. Ein lobender englischsprachiger Pressebericht über das Unternehmen und Nutzerbeispiele, die schon ein Auto als Bonus bekommen haben sollten, überzeugten sie, und sie investierte 599 Euro Einstiegsgebühr in die Plattform. Um die erste sogenannte Founder-Stufe zu erklimmen und von der ersten Ausschüttung zu profitieren, sollte sie zunächst sechs neue Nutzer anwerben, die ebenfalls investieren. Neben Boni fürs Anwerben neuer Nutzer sollten auch nicht näher erläuterte Umsatzprovisionen fließen. Ihren Stornierungswunsch lehnte das Unternehmen anders als versprochen ab. Die anvisierte Zahl der Nutzer anzuwerben gelang der Frau nicht.

Erkennungsmerkmale von Schneeballsystemen

  • Seien Sie misstrauisch, wenn Anbieter eine Anlage mit hohen Gewinnen, garantierter Rendite und sehr geringem Risiko versprechen.
  • Misstrauen Sie angeblichen Erfolgen auf Demo-Konten oder von Testimonials wie angeblich zuvor erfolgreichen Partnern oder Anlegern.
  • Speichern Sie die Daten aus dem Impressum ab und suchen Sie über verschiedene Suchmaschinen nach Anbieter und Produkt.
  • Handelt es sich um ein von der BaFin oder einem anderen EU-Land lizenziertes Unternehmen? Dies können Sie unter bafin.de in der Unternehmensdatenbank prüfen.
  • Bevor Sie eine Anlage tätigen beziehungsweise in Schulungsunterlagen oder Produkte investieren, holen Sie unabhängigen Rat ein, beispielsweise bei Verbraucherzentralen.
  • Vorsicht bei Hilfsangeboten. Laut BKA bieten Betrüger, die Daten vorheriger Betrugsopfer erworben haben, häufig an, dabei zu unterstützen, verlorenes Geld zurückzuholen.
  • Kontaktieren Sie bei Verdacht die Polizei und/oder die BaFin.

Rechtliche Situation

Kriminalisten stufen Schneeballsysteme oder Pyramidensysteme als Betrug ein. Bereits der Versuch, ein solches illegales Schneeballsystem ins Leben zu rufen, ist hierzulande gemäß Paragraf 16 Absatz 2 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verboten: »Wer es im geschäftlichen Verkehr unternimmt, Verbraucher zur Abnahme von Waren, Dienstleistungen oder Rechten durch das Versprechen zu veranlassen, sie würden entweder vom Veranstalter selbst oder von einem Dritten besondere Vorteile erlangen, wenn sie andere zum Abschluss gleichartiger Geschäfte veranlassen, die ihrerseits nach der Art dieser Werbung derartige Vorteile für eine entsprechende Werbung weiterer Abnehmer erlangen sollen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft«. Auch ins Strafgesetzbuch nahm der Gesetzgeber 2017 das Verbot von betrügerischen Kapitalanlagesystemen etwa nach dem Schneeballprinzip auf. Paragraf 264a StGB sieht dafür unabhängig vom entstandenen Schaden eine Freiheitsstrafe von drei Jahren oder Geldstrafe vor. Paragraf 5 UWG verbietet die Irreführung über Gewinnchancen. Ebenso wie Paragraf 4 UWG, der unlautere geschäftliche Handlungen untersagt.

Täter vor Gericht

Im Fall eines Schneeball-Anlagebetrugs verhängte das Landgericht Darmstadt im vergangenen Juni Bewährungsstrafen. In mehr als 30 Fällen hatten der geständige Haupt- und zwei Mittäter Anleger um 4,7 Millionen Euro betrogen. Den Opfern hatte der Mann versprochen, das Geld in Gastronomiebetriebe zu investieren – und »fantastische Gewinne « in Aussicht gestellt. Tatsächlich gab er das Geld für seinen aufwendigen Lebensstil und Schulden aus.

Im 2017 vom Düsseldorfer Landgericht beurteilten Fall der DM Beteiligungen AG hatte der 51-jährige Ex-Geschäftsführer den Opfern mit Immobilien Zinsen von 5,5 bis 7 Prozent plus Gewinnbeteiligung für den Kauf von Inhaberschuldverschreibungen versprochen. Statt die Einzahlungen in Gold anzulegen, bezahlte er die Anleger bis zu seiner Insolvenz und dem folgenden Haftbefehl aus dem Geld neu akquirierter Kunden. Die bis dahin angeworbenen über 9000 Gläubiger mit berechtigten Forderungen von 140 Millionen Euro bekamen am Ende nur einen kleinen Teil ihrer Investitionen zurück.

Plötzlich Mittäter

Auch die Insolvenz des Goldhändlers PIM aus Südhessen funktionierte nach dem Schema. Allerdings flog dieses Pyramidenspiel nicht auf dem für Schneeballsysteme quasi natürlichen Weg durch Insolvenz auf, sondern weil ein Mitarbeiter Strafanzeige gestellt hatte – und später selbst als Mittäter geführt wurde.

Auch für Opfer bergen Schneeball- und Pyramidensysteme also neben finanziellen auch rechtliche Risiken. Im Fall des Goldhändlers PIM traf dies anfangs vermutlich nichts ahnende Mitarbeiter. Bei Direktvertrieben oder Schenkkreisen können sich aber auch vorherige Opfer des Betrugs schuldig machen – wenn sie selbst anwerben. Opfer sollten sich daher Rat bei einem Anwalt oder Fachanwalt für Wirtschaftsrecht oder Anlegerschutz suchen.

Multi-Level-Marketing: Legale Schneeballgeschäfte

Unterschied

Nicht jedes System von Social oder Netzwerkmarketing – auch Multi-Level-Marketing (MLM) genannt – ist gleich unseriös, weil es einem Schneeballsystem ähnelt. Es gibt Systeme, die zwar auf eine soziale Komponente setzen und Kunden oder Mitglieder weitere Kunden oder Mitglieder anwerben lassen, aber legal sind.

Multi-level-Marketing

Beim Multi-Level-Marketing werden die Produkte und Dienstleistungen eines Herstellers oder Anbieters nicht in Ladengeschäften oder Online-Shops verkauft, sondern über selbstständige Vertriebler. Network Marketing ist also eine Form des Direktvertriebs oder Strukturvertriebs ohne Zwischenhändler. Bekannte legale MLM-Unternehmen in Deutschland sind beispielsweise Tupperware, Vorwerk oder Avon.

So funktioniert’s

Bei dieser Art des Direktvertriebs oder Strukturvertriebs kauft eine Person die Produkte des Anbieters – und wird so zunächst Kunde. Im nächsten Schritt verkauft sie ihre Artikel an Endverbraucher weiter und wird somit zum Verkäufer und Vertriebspartner des Anbieters. Hierfür nötige Schulungen, Werbeunterlagen oder Vorführprodukte sind bei legalen Systemen kostenlos oder haben einen nicht zu hohen Preis. Die Produkte sind qualitativ hochwertig und der Preis auch für sie angemessen. Neben dem Produktverkauf ist es auch bei legalen MLM-Systemen möglich, Partner anzuwerben, die ebenfalls Produkte einkaufen und weiterverkaufen – aber kein Muss. Der erzielbare Gewinn ist davon auch nicht oder nicht nennenswert abhängig. Ein seriöses MLM-Unternehmen entlohnt Verkäufer in erster Linie für den Verkauf der Produkte oder Dienstleistungen.

Wichtig zu wissen

Oberstes Ziel ist, den Produktabsatz zu steigern. Das Unternehmen investiert in die Produktentwicklung. Bei legalen Systemen kauft das Unternehmen auch unverkaufte Produkte zurück. Prüfen sollten Verbraucher, ob der Anbieter Mitglied in einem Verband ist, beispielsweise dem für Direktmarketing.

Wie man sich schützen kann

Opfer von Schneeball-Betrugsgeschäften gehen in aller Regel leer aus, weil der betrügerische Anbieter in die Insolvenz geht und die Insolvenzmasse bestenfalls einen kleinen Teil des Schadens abdeckt. Immerhin erleichtert ein Urteil des Bundesgerichtshofs von 2021 es Opfern rechtlich, ihr Geld zurückzufordern, und entlastet sie von der Beweispflicht. »Ist vorhersehbar, dass bei einem Anlagemodell die den Anlegern versprochene Rendite nicht aus den Erträgen des Anlageobjekts, sondern aus den Einlagen weiterer Anleger bedient werden wird (sogenanntes ›Schneeballsystem‹), erfüllt dies regelmäßig sowohl die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB als auch diejenigen eines Eingehungsbetrugs gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB«, stellten die obersten Richter fest (Az. III ZR 7/20).

Vor einer möglichen Steuerpflicht schützt dies nicht. Wer frühe Gewinne aus einem da womöglich noch nicht erkannten betrügerischen Pyramidensystem direkt wieder ins System investiert, verliert nicht nur spätestens dann meist das eingesetzte Geld, sondern muss darauf Steuern zahlen. Denn Scheingewinne sind grundsätzlich steuerpflichtig, wie der Bundesfinanzhof 2014 urteilte (Az. VIII R 25/12).

Wer sich vor Schneeball- oder Pyramidensystemen schützen will, muss bei Geldanlagen oder selbstständigen (Neben-)Tätigkeiten besonders aufpassen. Vorsicht ist nicht nur bei unbekannten Angeboten angebracht. Auch honorig scheinende Namen und große Anbieter schützen nicht vor Reinfall. So zockte der 2021 im Gefängnis verstorbene ehemalige New Yorker Börsenhändler Bernie Madoff mit einem Schneeballsystem in großem Stil neben Privatanlegern auch aus Deutschland selbst Großbanken, Hedgefonds und Stiftungen ab – Berichten zufolge um 65 Milliarden Dollar. Auch den Bilanzfälschungsskandal rund um den Anbieter Wirecard stufen Experten heute als Schneeballsystem ein. Zehntausende Anleger verloren hier mehrere Milliarden Euro.

Grundsätzlich skeptisch sollten Verbraucher gegenüber Versprechungen sein, die zu gut klingen, um wahr zu sein. Sie sollten prüfen, ob die versprochenen Renditen realistisch sind und dahinter werthaltige Anlagen stehen oder wie das Unternehmen sein Geld verdient. Verbraucher sollten Hintergrundinformationen wie Registrierungen und Lizenzen des Unternehmens analysieren – und so sicherstellen, dass es sich um eine legitime und legale Geschäftstätigkeit handelt.

Und ganz wichtig: In der Ruhe liegt die Widerstandskraft gegen Betrug. Täter schüren oft Zeitdruck, um Anleger zu schnellen Entscheidungen zu treiben. Wer sich schützen will, darf auf so etwas nicht anspringen.