Menü
Mit Leidenschaft recherchiert in Berlin

Strom und Gas: Was die Märkte derzeit bewegt

Jetzt kommt Bewegung in den Markt: Nach den Gaspreisen gehen auch die Strompreise jüngst wieder deutlich zurück. Tarif- oder gar Anbieterwechsel lohnen sich wieder. Von einem fairen Wettbewerb kann aber noch nicht die Rede sein. Was die Märkte derzeit bewegt.

© Steve Bauerschmidt | imago images

Die derzeitige Schönwetterperiode auf dem Energiemarkt sorgt dafür, dass ein zwischenzeitlich überholt geglaubter Werbeslogan plötzlich wieder aktuell ist. Mit einem Anbieterwechsel lassen sich bei Strom und Gas oft mehrere Hundert Euro sparen. Anfang Juli (Stand 10.7.23) lag der Preis für eine Kilowattstunde Strom für Neukunden mit einem Jahresverbrauch von 4000 Kilowattstunden laut Verivox im Schnitt bei 29,03 Cent, inklusive der ansonsten separat ausgewiesenen monatlichen Grundgebühren.

Beim Gaspreis hat sich ebenfalls eine Entlastung ergeben. Am 10.7. betrug der Neukundenpreis für eine Kilowattstunde Gas bei einem Jahresverbrauch von 20000 Kilowattstunden laut Verivox im Durchschnitt 9,02 Cent, auch hier inklusive der Grundgebühren. Im Vergleich zum letzten ruhigen Gaswinter vor der Krise ist das Preisniveau aber immer noch rund doppelt so hoch: Anfang Januar 2021 lag der Kilowattstundenpreis laut Verivox noch bei 4,32 Cent; ein Wert, der sich künftig wohl nicht mehr einstellen wird.

Warum die Preise jetzt sinken

Wer angesichts der fallenden Strom- und Gaspreise nun zur Einschätzung neigt, die Energiekrise sei schon überstanden, unterliegt aber einem Trugschluss.

Wenig Nachfrage Ein wesentlicher Grund für den Preisverfall beim Strom liegt in der wirtschaftlichen Unsicherheit. Angesichts einer drohenden Rezession tendieren viele Unternehmen dazu, sich an den Energiebörsen nur verhalten mit Strom für künftige Produktionszeiträume einzudecken. Die mangelnde Nachfrage drückt derzeit so die langfristigen Preise. Unterdessen könnte die von Bundeswirtschaftsminister Habeck angestrebte Subventionierung von Industriestrom auf einen Preis von 6 ct/kWh die Nachfrage auch rasch wieder steigen lassen.

Überschüsse

Ein weiterer Grund für die derzeit günstigen Preise ist der saisonal bedingte Überschuss an Solarstrom. Zudem ist auf der Nachfrageseite spürbar, dass die in Frankreich sehr verbreiteten Stromheizungen im Sommer nicht genutzt werden. Auch das entlastet jetzt den Energiemarkt – und schafft an den Börsen ein Klima, das aktuell den Energiediscountern in die Hände spielt.

Erzeugungskosten

Nicht zuletzt sind die derzeitigen Niedrigpreise dann auch dem Umstand geschuldet, dass in der Sommersaison, anders als im Winter, auf der Erzeugerseite auch keine Gasturbinen benötigt werden, um den Strombedarf zu decken. Insoweit entlastet die sommerliche Solarstromproduktion nebenbei auch die Gaspreise. Weil in der Stromerzeugung aber weiterhin das Merit-Order-Prinzip gilt (die teuerste Energiequelle im tagesaktuellen Erzeugungsmix bestimmt den Marktpreis), werden die Strompreise in der Winterproduktion vom Gaspreis dann aber auch wieder nach oben gerissen.

Ausblick Gas

Momentan herrscht auch auf dem Gasmarkt eine gewisse Entspannung, da die Gasspeicher im Frühsommer bereits einen hohen Füllstand aufweisen: Anfang Juni waren es 79,2 Prozent gegenüber knapp 50 Prozent Anfang Juni 2022. Im kommenden Winter kann sich die Situation aber schnell wieder drehen. Die Initiative Energien Speichern e.V. (INES), ein Zusammenschluss der Betreiber deutscher Gas- und Wasserstoffspeicher, rechnete in ihrem zweimonatlichen Bericht vom 9. Juni noch damit, dass es selbst bei mittleren Wintertemperaturen eine Herausforderung bleiben wird, zum 1. Februar 2024 noch den gesetzlich geforderten Füllstand von 40 Prozent einhalten zu können. Fallen Herbst und Frühwinter sehr kalt aus, könnten die Speicher bereits im Januar entleert sein. Damit würde die bereits im vergangenen Winter befürchtete (und ausgebliebene) Gasmangellage doch noch eintreten. In der Folge wären erneute Preissprünge zu erwarten; was wie Ende 2021 dann erneut zu Anbieterpleiten führen könnte (siehe »Die Krise der Billigheimer«). Verbraucher, die jetzt wieder vergleichsweise günstige Strom- und Gasverträge schließen können, müssen sich gleichwohl darauf einstellen, dass spätestens ab Herbst wieder von allen Seiten dringende Spar-Appelle laut werden.

Die Misere der Grundversorger

Angesichts der zuletzt rapide gesunkenen Preise stehen viele kleine und mittlere Grundversorger (Stadtwerke) nun auf ziemlich verlorenem Posten, teils gar mit dem Rücken zur Wand. Sie kämpfen noch mit krisenbedingten Verlusten und können der nun wieder erstarkenden Fraktion der Billiganbieter oft keine konkurrenzfähigen Tarife entgegensetzen. Die Misere ist systembedingt und hat durchaus einen tragischen Beigeschmac

In der Krise ab Herbst 2021 mussten die Grundversorger nicht nur den Bedarf der Haushalts- und Gewerbekunden in »ihrem« Netzgebiet sicherstellen, sondern auch die Kunden der ins Schlingern geratenen Strom- und Gasdiscounter unter ihre Fittiche nehmen.

In dieser Situation waren die Grundversorger aufgrund ihrer langfristigen Einkaufsstrategien plötzlich wieder fast durchweg die günstigsten Anbieter; allerdings mussten sie wegen des unerwarteten Kundenansturms inmitten der Krise dann selbst Energie zu ungünstigen Preisen nachkaufen, um die Versorgung sichern zu können.

Derweil hatten sich die Einkaufspreise für Strom im Großhandel 2022 gegenüber 2021 nahezu verdreifacht. In der Spitze (34. Kalenderwoche, 22.–28.8.) kostete die Megawattstunde (1000 kWh) dann im Einkauf 586 Euro, was den Preis für die Kilowattstunde Strom inklusive Marge, Steuern und Abgaben in die Nähe von 90 Cent gerückt hätte. Obendrein fiel den Versorgern die Aufgabe zu, das hektische Krisenmanagement der Bundesregierung umzusetzen und den Kunden erklären zu müssen. Um den administrativen Aufwand überhaupt stemmen zu können, mussten vor allem kleinere Stadtwerke zusätzliches Personal rekrutieren, was neben den hohen Einkaufspreisen weiter auf die Margen drückte. Immerhin gelang es den meisten Grundversorgern, die Strompreise für die Endkunden dann noch unterhalb von 50 Cent zu halten – unter anderem indem sie das Geschäft mit den günstigen Wahltarifen rechtzeitig stoppten und die daraus vorhandenen Stromkontingente teils auch zum Ausgleich der Preisspitzen nutzten.

Wechsel als Gewissensfrage

Diese Strategie des Abpufferns der Preisanstiege ist nun aber auch der Grund dafür, dass es kleinen und mittleren Grundversorgern in der momentanen Erholungsphase nicht möglich ist, auf einen Schlag mit den Energiediscountern mitzuhalten, die derzeit wieder ganz oben an der Spitze der Stromvergleichsportale gelistet werden. Der in der Krise vorteilhafte Effekt langfristiger Einkaufsstrategien, eben relativ lange erträgliche Preise halten zu können, kehrte sich zuletzt um; Preissenkungen können nun erst verzögert weitergegeben werden.

Dieser Umstand kann für einige Grundversorger aktuell durchaus zur Schicksalsfrage werden; denn der überwiegende Teil der Strom- und Gaskunden in Deutschland war bisher in Wahltarifen den eigenen Grundversorgern treu geblieben. Würden sie nun massenhaft zu überregionalen Energiediscountern wechseln, könnte der Grundversorgerstatus für viele kommunale Unternehmen verloren gehen. Seit 2006 müssen die Netzbetreiber alle drei Jahre zum Stichtag 1. Juli prüfen, welcher Versorger in einem Netzgebiet die meisten Haushaltskunden hat – dieser bekommt die Rolle des Grundversorgers zugewiesen. Brächen den lokalen Versorgern bis zum nächsten Termin im Juli 2024 in großem Umfang Kunden weg, stünden auch andere, teils attraktive Nebenleistungen auf dem Spiel, wie etwa die Lieferung und Montage von Lade-Wallboxen, Solaranlagen oder Wärmepumpen. Da solche Aufträge von den kooperierenden lokalen Handwerkern oft priorisiert abgearbeitet werden, sind diese Services nicht uninteressant.

Wie man jetzt profitieren kann

Wer aus den genannten Aspekten dem örtlichen Anbieter die Treue halten will, muss eventuell noch etwas Geduld aufbringen; allerdings scheint seit Anfang Juli nun eine Preissenkungswelle in Gang zu kommen. Tipp für Ungeduldige: Erfahrungsgemäß kann es nicht schaden, sich telefonisch an die Kundenhotline zu wenden und unverblümt nach einem günstigeren Angebot zu fragen. Solcher Kuhhandel ist keineswegs abwegig.

Wechselkriterien

Wer nach einem günstigeren Angebot für Gas oder Strom sucht, wird bei den üblichen Verdächtigen fündig, etwa auf check24.de oder verivox.de. In jedem Fall sollte man bei Preisvergleichen darauf achten, ob eine vollständige oder eine eingeschränkte Preisgarantie geboten wird. Der Unterschied ist wichtig. Bei der vollständigen Preisgarantie bleibt der Preis für die Laufzeit unverändert; während unter einer eingeschränkten Preisgarantie auch Erhöhungen von Umlagen und Steuern weitergereicht werden können.

Mindestlaufzeit

Angeboten werden in der Regel Verträge mit einer Mindestlaufzeit von zwölf oder 24 Monaten. Aus Verbrauchersicht gibt es, abgesehen von vereinzelt gebotenen Treueboni, keinen Grund, sich für die längere Variante von 24 Monaten zu entscheiden; zumal vollständige Preisgarantien im Regelfall ohnehin nur für zwölf Monate gelten. Auf jeden Fall sollte man aber darauf achten, dass sich die Preisgarantie mit der Mindestlaufzeit deckt und nicht etwa kürzer ausfällt. Sämtliche Verträge verlängern sich nach der Mindestlaufzeit nur von Monat zu Monat und können durch einen neuen Wechsel beendet werden

Preiserhöhende Faktoren

Gaskunden sollten auf dem Schirm behalten, dass die derzeitige Mehrwertsteuersenkung auf sieben Prozent am 31.3.2024 ausläuft; dann werden wieder 19 Prozent MwSt. erhoben. Beim Strom belasten die Netzentgelte die Endpreise derzeit massiv und sind auch regional sehr uneinheitlich. Check24-Geschäftsführer Steffen Suttner führt den Kostenanstieg darauf zurück, dass die Netzentgelte nach allen Einsparungen durch Industrie und Verbraucher nun auf weniger Kilowattstunden verteilt würden. Umso ärgerlicher ist es, dass seitens der Bundesnetzagentur mit Blick auf einen beschleunigten Netzausbau nun sogar eine weitere Anhebung befürwortet wird. Energie bleibt systembedingt also zwangsläufig teuer.

Neues zum Strom vom Balkon

Mehr Ausbeute

Die Gesetznovelle zur Förderung der Balkonkraftwerke sieht vor, dass bis zu 2 kW Leistung installiert werden dürfen, deren Einspeisung vom Wechselrichter auf 800 Watt (bisher 600 W) gedeckelt wird

»Zählerdreh«

Eine frohe Botschaft ist, dass der Gesetzentwurf ein vorübergehendes Rückwärtslaufen vorhandener, alter Ferraris-Zähler erlaubt. So käme zumindest zeitweise eine Einspeisevergütung zustande, die 1:1 dem Preis des regulär aus dem Netz bezogenen Stroms entspricht. Da der Gesetzentwurf keine Meldepflicht beim Netzbetreiber mehr vorsieht, sondern lediglich die Inbetriebnahme innerhalb eines Monats in das Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur eingetragen werden soll, lässt sich mit dem Ausreizen der Frist ein Monat Einspeisung gewinnen. Der Netzbetreiber hat vier Monate Zeit, um ein Smart Meter zu installieren. Im Idealfall ergeben sich 5 Monate, in denen man überschüssigen Eigenstrom nicht verschenken muss.

Gebührenfrei

Für den Zählerwechsel darf kein Geld verlangt werden, wie uns freundlicherweise unser Leser Christian Muth aus Schutterwald mitteilte. Mithilfe der Verbraucherzentrale bekam er die dafür berechneten 113 Euro erstattet. Grundlage ist die Empfehlung Nr. 2022/15-IX der EEG-Clearingstelle, in der ein solcher Vergütungsanspruch ausgeschlossen wurde. Die Clearingstelle verweist überdies darauf, dass nach Gesetzeswortlaut auch bei Balkonkraftwerken eine Einspeisevergütung fällig würde. Info: clearingstelle-eeg-kwkg.de

Vorziehen

Da die Neureglungen erst zum 1. Januar 2024 in Kraft treten sollen, aber andererseits noch unklar bleibt, ob die im Jahressteuergesetz 2023 enthaltene Mehrwertsteuerbefreiung für Solaranlagen über den 31.12.2023 hinaus verlängert wird, ist es ratsam, die Anschaffung noch für 2023 zu planen. Beim Kauf sollte dann jedoch unbedingt darauf geachtet werden, dass sich der Wechselrichter ohne Aufwand von 600 Watt auf die neue Leistungsgrenze von 800 Watt umstellen lässt